Wissenschaft ist nicht gleich Empirie !

Ausgegebenem Anlass,

um die dauernde Nachfragen nach der ‚unbedingten Notwendigkeit’ eines empirischen Teils einer als wissenschaftlich zu beurteilenden Arbeit zu klären:

 

Empirie ist der Teil von Wissenschaft, der sich direkt auf die Realität bezieht. Innerhalb der geistes‐ und sozialwissenschaftlichen Literatur insgesamt ist dies sicher der weitaus kleinere Teil! Den größten Teil der geistes‐ und sozialwissenschaftlichen Literatur bilden theoretische Reflexionen auf theoretische Aussagen. D.h. insbesondere Normendiskurse, erkenntnistheoretische Diskurse oder Diskurse über die Relevanz und Schlüssigkeit theoretischer Modellierungen.

    Kommt es hierbei – und nur dann (!!!) – zu Aussagen und/oder Hypothesen, die sich direkt auf die reale Praxis beziehen, müssen diese methodisch erfasst und mit standardisierten (‚quantitativen’) Instrumenten überprüft oder zumindest dargestellt werden.

    Sind diese auf die Realität bezogenen (!) Fragestellungen dagegen noch so allgemein, dass sie noch nicht Hypothesen oder Aussagencharakter haben, so gilt es den entsprechenden Abschnitt der Realität mit nicht standardisierten (‚qualitativen’) Methoden zu untersuchen.

    Ein Sonderfall ist die Analyse von nicht wissenschaftlichen, z.B. biographischen oder politischen, Texten. Auch hier kommen entsprechende Methoden der Textanalyse zur Anwendung.

 

Kurz: Ob ein empirischer Teil in einer wissenschaftlichen Arbeit nötig ist, ergibt sich alleine aus der Fragestellung der Arbeit. Empirie ist ein spezifischer, Komplexität reduzierender Sonder‐ bzw. Teilbereich der Wissenschaft, dessen Fehlen oder Vorhandensein alleine nichts über die Wissenschaftlichkeit eines Textes aussagt.

 

Da die Ergebnisse standardisierter Untersuchungen zudem dem Gesetz der großen Zahl (Statistik) folgen, die pädagogische bzw. therapeutische Praxis dagegen der viel höheren Komplexität des Einzelfalles unterliegt, sagen wissenschaftlich empirisch gesicherte Ergebnisse noch nicht einmal etwas über die Praxistauglichkeit der Ergebnisse aus. Sie sind und bleiben als wissenschaftliche Ergebnisse, wie die ‚rein’ theoretischen Texte auch, eben immer nur Grundlage der Reflexion der sie anwendenden Menschen.

 

Aus dem selben Grund heraus kann aber auch die gelingendste oder auch misslungenste Praxis niemals als theoretisches Argument – gar als Beweis – gelten. Da Praxis immer ein Einzelfall ist und Theorie eben auf der Basis von Verallgemeinerungen reflektiert.

    Das selbe gilt für die Übertragbarkeit von Fällen. Eine Praxis ist, auf Grund der Einzigartigkeit der Bedingungen, einer anderen Praxis, die höchstens ähnlich sein kann, immer nur ein – in Bezug auf die Auswahl der Darstellung theoretisches – Beispiel! D.h. Fälle sind nicht anwendbar!

 

Frankfurt, 2010

Peter Rödler

Impressum

(Datenschutz)

 

Creative Commons Lizenzvertrag

Alle Texte und Grafiken der Page

nuclear ban
CCC - Chaos Computer Club

 

Druckversion | Sitemap
© Peter Rödler